ICH & MEIN BIKINI-BODY

 

Es geht eigentlich nur im entferntesten Sinne um Lena Hoscheks Radlerhosen-Statement. Es geht viel eher über die Gedanken, die wir uns am Meer sitzend, nicht weit von Triest, gemacht haben. Und es geht darum, was mein Bikini-Body, du und ich von italienischen Frauen lernen können.


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Ich & mein Bikini-Body. Wir sitzen gemeinsam am Meer und sinnieren über alles Mögliche und Unmögliche, während das Salzwasser auf unserer Haut abperlt.

WAS WÄRE, WENN….

…auch alles andere an uns abperlen würde?

Alle Konditionierungen und Muster.

Sämtliche Bemerkungen und Meinungen, die wir in unserem Leben je über uns gehört haben.

Selbst die gut gemeinten Komplimente.

WAS WÄRE, WENN wir Komplimente von außen überhaupt nicht wichtig nehmen würden, aber jedes Kompliment, das von innen kommt, das Allergrößte für uns wäre?

Was, wenn wir die Gedanken, die sich pausenlos um unser Aussehen und den Zustand unserer Körperhülle drehen, einfach fallenlassen.

Was, wenn wir sie höchstens ein einziges Mal denken und dann nie wieder. Weil wir erkennen, dass es Wichtigeres zu tun gibt. Oder gar nichts zu tun. Weil einen Körper zu haben, schon mehr als genug ist.

WAS WÄRE, WENN uns das, was da von außen ständig auf uns einprasselt, überhaupt nichts anginge? Wenn wir zwar eine klare Meinung haben, aber nicht den Anspruch, sie anderen erklären zu müssen.

WAS WÄRE, WENN wir das Schlachtfeld der Vergleiche und Vorher-Nachher-Bilder einfach wortlos verlassen?

Wenn wir unsere ach so wunderbaren Morgenroutinen und Tipps für perfekte Augenbrauen & straffe Schenkel einfach für uns behalten. Weil wir erstmal abwarten, ob unser Leben dadurch überhaupt besser wird.

WAS WÄRE, WENN wir nicht alles, was gerade in uns vorgeht, in die virtuelle Welt hinausbrüllen würden? Nur weil wir es in der realen Welt nicht können, sollen oder dürfen. Und weil wir unsere Bedeutungslosigkeit gemessen an der Unendlichkeit nicht einsehen wollen.

WAS WÄRE, WENN wir einfach das, was wir an uns mögen, liebevoll behandeln?

So hingebungsvoll, dass für unsere vermeintlichen Schwächen gar keine Zeit mehr bleibt.

Was, wenn wir in der Lage wären, uns selbst zu bewundern? Ohne Scham und ohne Lüge. Einfach aus dem Herzen heraus, ohne dabei als arrogant oder eingebildet zu gelten.

Was, wenn wir unsere Makel nicht mehr auf die Social-Media-Bühne holen würden, nur um den Applaus für unsere Ehrlichkeit und Verletzlichkeit zu ernten?

WAS WÄRE, WENN wir für andere nicht Partei ergreifen müssten? Wenn wir die fixe Idee, es besser als andere zu wissen, einfach links liegen lassen würden. Wenn wir für andere nicht kämpfen müssten, weil wir davon ausgehen können, dass jeder Mensch seine ureigenen Superkräfte kennt und zu jeder Zeit in seinem schönsten Licht strahlen kann.

Was, wenn ‚selbstverliebt‘ kein böses Wort wäre und die Selbstliebe ein Naturgesetz wäre?

Und wenn weder Medien noch Werbung jemals etwas daran ändern könnten. Wenn wir uns schön finden würden. Und zufrieden. Und glücklich. Und uns jeden Tag ohne Anstrengung, noch um ein Vielfaches übertreffen würden.

Was, wenn Perfektion bedeuten würde, dass wir mit jeder Faser unseres Körpers zutiefst verbunden sind. Wenn wir erkennen könnten, dass jede Narbe und jede Falte Ausdruck unserer ganz eigenen Geschichte sind. Was, wenn wir unserem Herzen voll und ganz vertrauen würden und wir fremde Ratschläge einfach überhören würden.

JA, WAS WÄRE, WENN wir uns bedingungslos lieben würden? Ohne das Wenn. Und ohne das Aber.

Ich und mein Bikini-Body, wir denken schon eine ganze Weile über diese Fragen nach.

Wir kennen uns gut und sind immer bessere Freunde geworden mit den Jahren. Gemeinsam sitzen wir am Meer, so wie wir das oft und gerne tun.

Im Gemüt noch etwas erhitzt, weil wir uns zuvor in einer Diskussion mit einer Influencerin verheddert haben.

Alles fing mit der Frage an, ob auch dicke Menschen die Modesünde des Sommers 2021 tragen dürfen.

Mir fiel sofort mein unvergesslicher Sommer auf dem Süd-Peloponnes ein.

Es könnte das Jahr 1991 gewesen sein. Radlerhosen waren schon damals ein Modeverbrechen. Doch ich war jung und machte schon aus Prinzip jeden Trend mit. Kein zweites Mal, so schwor ich mir später, da hatten meine schlanken & straffen Schenkel gar nichts mitzureden.

Die Erinnerung an die Radlerhose wäre eigentlich schon verblasst, gäbe es da nicht dieses Foto. Ich posierend zwischen großen Kakteen. Es kostete mich Stunden, die feinen Stacheln wieder aus meinen Fingern herauszuziehen. Und ja, die Radlerhose, die eigentlich eine umfunktionierte Leggings war, weigerte sich, mit meinen Körperformen zu harmonieren. Das mutwillig aus dem Radsport entlehnte Kleidungsstück wollte vielleicht einfach genau dort bleiben.

Und ja, wir können frei entscheiden, was wir tragen.

Es sei denn, wir nehmen die Meinungen und Aussagen anderer wichtiger als unsere eigenen. Was ja grundsätzlich keine gute Idee ist. Ob es uns wirklich weiterbringt, jenen die Tür einzurennen, die für uns Partei ergreifen? Das sollten wir schon selber tun.

Dicke, Dünne, Große, Kleine, Alte, Junge…können grundsätzlich Radlerhosen im Zehnerpack kaufen, wenn ihnen danach ist.

Und genauso dürfen sich die Geister scheiden, ob wir das nun schön finden oder nicht. Wir können ein Problem daraus wachsen lassen, wir können die Geschichte in unserem Kopf aber auch einfach ‚fallenlassen‘. So empfiehlt es Pema Chödrön. Und immer mehr finde ich, dass sei damit absolut recht hat.

Eine Pause machen. Eine Lücke zulassen.

Abstand finden, zwischen Ereignis und Reaktion.

Warum auch nicht? Wer kein/e InfluencerIn ist, hat mehr Zeit zu reagieren.

Das alles fällt uns also zwischen Klappstühlen, Handtüchern, Badeschuhen und anderen tratschenden, herumstehenden, sitzenden und liegenden Bikini-Bodys wieder ein. Glatt und runzelig. Dünn und dick. Alt und jung. Immer braun gebrannt.

Wir sind in Italien. Keine der Frauen scheint gerade ihre Schönheit anzuzweifeln. Und das Leben ist zu kurz, um auf die späte Nachmittagssonne zu warten.

Am Horizont die fetten Frachter, dahinter die Silhouette von Trieste. Ich denke, es ist safe ‚fett‘ zu sagen, wenn man über große Schiffe spricht. Oder in der Verbindung mit ‘feindlich’, so wie es die InfluencerInnen gerne tun. ‘Fett’ und ‘freundlich’ vertragen sich hingegen nicht oder kommen im Doppelpack einfach zu selten vor.

Ich befürchte jedenfalls, dass keine dieser Wortschöpfungen ein wirklicher Gewinn sind.

Weder für die Normschönen – und auch nicht für die, die nicht sicher sind, ob sie ‘normschön’ sind. Und schon gar nicht die, die bestimmte Normen vorsätzlich oder unwissentlich verfehlt haben.

Vermutlich braucht es auch noch unzählige Diskussionen, um zu klären, ob die Worte ‚dick‘ und ‚dünn‘ bzw. ‚schön‘ und ‚hässlich‘ in unserem Sprachgebrauch vorkommen dürfen. Wir kümmern uns später im Text noch um dieses Dilemma.

Ich und mein Bikini-Body, wir hatten der Influencerin jedenfalls gesagt, dass alle Probleme ein Recht haben, gehört und gesehen zu werden. Dass es doch eigentlich egal ist, welche Größe im Kleidungsstück steht.

Man kann sich in Größe 48 mies fühlen. In Größe 34 aber auch. Und sich in ganz viel oder ganz wenig Stoff hervorragend finden.

Ich schwebe leider noch nicht genug über den Dingen.

Vielleicht habe ich im Jahr 2031 keinen Instagram-Account mehr. Das wäre wünschenswert.

Es täte mir gut. Es täte uns wohl allen gut.

Das Leben wäre so entspannt, weil wir uns nicht mehr in sinnlosen Direct Messages verstricken würden, die meist der Verteidigung einer Sache dienen und selten den Gegenpol mit gleicher Leidenschaft und Ehrlichkeit betrachten.

Yin und Yang. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. In jedem Yin steckt auch ein bisschen Yang, und umgekehrt.

Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber ein schlauer Mensch hat mal gesagt, bevor man Meinungen zu Tode diskutiert, täte man besser daran, einfach zu sagen: ‚Ok, so habe ich das noch nicht betrachtet. Ich denke darüber nach.‘

Influencerinnen, die meine Töchter sein könnten, wollen nicht über andere Meinungen nachdenken. Das dauert viel zu lange. Sie überzeugen mit der Souveränität und Starrköpfigkeit eines schon bis zum Ende gelebten Lebens.

Auf eine Weise bewundere ich das. Als ich in meiner ersten Radlerhose steckte, war ich noch viel zu schüchtern, um eine klare Meinung zu haben. Und hätte ich sie gehabt, wie hätte ich sie in die Welt streuen können? Ich hätte sie bestenfalls in meine Schreibmaschine tippen oder mit meinem Alcatel-Handy als SMS an eine einzige Person verschicken können. Damals als Freunde noch wertvoller als Follower waren.

Aber ja, es ist gut, wenn da eine Horde junger, ambitionierter Menschen ist, die sich imstande fühlt, der Welt eine neue Richtung zu geben. So wie es gerade läuft, kann es ja schließlich auch nicht weitergehen.

Andererseits mag ich es nicht, wenn man mich mit meinem statistisch bis zur Hälfte gelebten Leben wie ein aufmüpfiges, unbelehrbares Kind in eine Schublade steckt. Ich wäre privilegiert und könne als ‚normschöne’ Frau beim Thema ‚Fettfeindlichkeit‘ gar nicht mitreden, so die Influencerin, die meinen etwas anderen Blickwinkel mit ihrer wohlklingenden Antwort direkt zur nächsten Insta-Story verschredderte. Content is King.

NORMSCHÖN.

Ein Wort, das mir nicht passt. Ich finde es mindestens so gefährlich wie ‚dick‘ oder ‚dünn‘.

Denn wer bestimmt, wo diese Norm anfängt und wo diese Norm endet?

Privilegiert, weil nicht fett?

Zu dünn, um ein Problem haben zu dürfen?

Ich behaupte, dass wir uns in zwei Richtungen verrennen können: Die zu Dünnen haben genauso viele Probleme wie die zu Dicken. Die zu Großen wie die zu Kleinen. Und die zu Runden wie die zu Geraden. Und dann sind da ja noch die zu Hellen und die zu Dunklen, die zu Alten und die zu Jungen.

Das Problem ist eigentlich das „ZU“.

Ein ZU-viel in eine bestimmte Richtung, die über einen Punkt hinaus geht, der ‚Norm‘ genannt wird. Wer immer diese Norm auch festlegt.

Und sind es im Grunde nicht wir selbst? Wir, die bestimmte Grenzen stecken und verteidigen?

Was ist das Gegenteil von ‚norm-schön‘? Seltsam-hässlich?

Ein Wortspiel, das niemanden beleidigen will, sondern nur den Hinweis geben soll: Je mehr wir mit dem Finger auf das EINE zeigen, umso mehr gerät das ANDERE aus der Balance und in Gefahr.

Je mehr wir von UNS und den ANDEREN sprechen, desto weniger nähern wir uns einander an. Trennung statt Verbundenheit, um es im Yoga-Slang zu sagen.

Es geht hier nicht um die Frage, ob dicke Frauen Radlerhosen tragen dürfen, sondern wie wir Frauen es uns leichter machen können.

Wenn wir strampeln, kämpfen und uns in alle Richtungen verteidigen, dann wird das nichts. Das YANG in uns schlägt um sich. Weil wir das YIN in uns ignorieren.

Es kostet Kraft, etwas zu umgehen, dem wir Frauen von Natur aus viel näher sind.

Ich war im Sommer 2019 schon mal hier. Am Meer. In Trieste.

Ich saß mit meinem 2 Jahre jüngeren Bikini-Body an exakt derselben Stelle und habe die Frauen beobachtet.

Ich habe schon damals beschlossen, wann immer ich mit meinem Aussehen hadern sollte oder mich zu alt oder zu hässlich fühle, werde ich einfach nach Italien fahren. Um mir von den italienischen Frauen ein Scheibchen abzuschneiden.

Nichts tut der weiblichen Seele besser als ihnen zuzuschauen. In jeder italienischen Frau scheint die Anziehungskraft einer Sophia Loren zu stecken. Italienierinnen sind in jeder Faser Frau und scheinen gar keine Zeit dafür zu haben, sich mit anderen zu vergleichen. Frauen jeden Alters gestikulieren, lachen und diskutieren.

Manche sind jung, andere alt. Einige runzelig, andere prall und glatt. Manche gertenschlank, manche voller Rundungen. Immer voller Sexappeal und Lebenslust.

Man könnte sagen, zu füllige Frauen sollten ihren Körper mit mehr Stoff umhüllen.

Man könnte sagen, eine Frau jenseits der 70 sollte nicht mehr Oben-ohne herumlaufen.

Man könnte sagen, runzelige Haut darf nicht in einem knappen Bikini stecken.

Die Alten könnten auf die Jungen schielen. Die Dicken könnten die Dünnen beneiden. Und ich habe keine Ahnung, was die machen könnten, die irgendwo dazwischen liegen.

Hier am Meer in Italien scheint das alles keine Rolle zu spielen. Vielleicht deshalb, weil auch die alten Männer mit großen Bäuchen knappe Tangas tragen.

Vielleicht rede ich mir das alles ein.

Doch ich spüre die sinnliche Leichtigkeit in der Luft, die einfach guttut.

Wie wäre es, wenn wir aufhören, etwas mit Worten zu verteidigen, was wir auch mit unserem Sein verkörpern können?

EMBODIMENT.

Der deutschen Sprache fehlt hier das passende Wort. Wobei es ja auch gar nicht um die Worte geht.

Nicht darüber reden und diskutieren. Stattdessen das verkörpern, wofür wir stehen.

Manche unter uns können und wollen vielleicht sogar Radlerhosen mit Anmut tragen.

Ich vermute aber, das kollektive Bewusstsein italienischer Frauen hat diesen Trend schon längst verdrängt. Und ich schließe mich gerne an. 1991. Das war‘s.

WAS WÄRE ALSO WENN, wir uns bedingungslos lieben würden? Und wenn wir diese Liebe in jeder Faser und jeder Körperschicht spüren könnten?

Was, wenn wir den Mut haben würden, unser wahrhaftiges Sein nach außen sichtbar werden zu lassen? Ganz egal, ob die Hülle, die dazugehört, dünn oder dick, alt oder jung ist?

Wir könnten die sein, die wir schon immer waren.

Ohne ein einziges Wort zu verlieren.

Ohne uns oder andere zu verteidigen.

Unwiderstehlich in unserer Einzigartigkeit.

Vielbeschäftigt mit unserer Freude am Sein.

Sodass gar keine Zeit mehr bleibt, vermeintliche Schwächen zu vertuschen oder zur Schau zu stellen.

Eine Reise nach Italien wäre dafür vermutlich ein guter Anfang…